Trauma auflösen

Aus der Angst in die Liebe
Vom Betäuben und Überleben
zum Fühlen und Heilen
Was ist Trauma?
Trauma ist eine als «schlimm» empfundene Erfahrung, die man nicht verarbeiten konnte und die verheerende Auswirkungen auf die Psyche haben kann. In einer traumatischen Erfahrung fühlt man sich macht-/hilflos, überwältigt, man empfindet sie vielleicht sogar als lebensbedrohend. Ob jemand eine Erfahrung als «schlimm» empfindet, hängt ab
• von der Situation:
zugefügte Schmerzen durch eine bekannte oder sogar vertraute Person werden z.B. als schlimmer empfunden als solche, die einem eine fremde Person zugefügt hat. Umweltkatastrophen erscheinen weniger schlimm als Katastrophen im persönlichen-familiären Umfeld
• von der Resilienz (Fähigkeit, mit Krisen und Belastungen umzugehen)
Das Leben im traumatisierten Zustand fühlte sich
für mich an wie «Gehen über verharschten Schnee»:
Man weiss nie, wann man das nächste Mal
einbrechen wird. Es kann eine Zeitlang gut gehen,
mit den Strategien, die man sich zurechtgelegt hat,
und dann plötzlich bricht man ein,
ohne die Gefahr rechtzeitig erkannt zu haben
Ich hatte keine Ahnung, was ich tun könnte,
um diesen Zustand zu ändern.

Lösungsversuche in einer traumatischen Situation:
Man unterscheidet zwei Arten von Traumata: einfaches oder multiples Trauma
-
einfaches Trauma:
z.B. Schocktrauma
einmaliges Ereignis, kann in der Regel gut therapiert werden
Lösungsversuche, um der traumatisierenden Situation zu entkommen:
1. Kampf
2. Flucht
3. Erstarrung
nichts mehr fühlen, den Körper verlassen, sich selbst von aussen sehen
warten, bis es vorbei ist
Wenn es länger dauert oder mehrmals vorkommt:
-
Multiples Trauma (Mehrfachtrauma)
z.B. Entwicklungstrauma:
-
Mehrfache traumatische Erlebnisse, oft in der frühen Kindheit, manchmal auch später
-
Kann auch sein: Dinge, die man nicht bekommen hat: z.B. fehlender Körperkontakt.
Oftmals ist das den betroffenen Personen gar nicht bewusst und hat gerade deshalb gravierende Folgen.
Lösungsversuche:
Da die Schritte 1-3 keine Hilfen gebracht haben, versucht man, Lösungsversuche zu entwickeln, die über den traumatischen Moment hinausreichen und verhindern sollen, dass es je wieder geschieht (was aber leider meistens nicht funktioniert)
4. Totstellen: tiefes innerliches Aufgeben, nichts mehr Fühlen
oder
5. "Fawn response": chronische Unterwerfung
"Fawn" (englisch): "Rehkitz" oder auch: "schmeicheln", "kriechen", "katzbuckeln"
«response» (englisch): Antwort
Ob jemand eine als «schlimm» empfundene Situation hinterher verarbeiten kann, hängt ab
-
von der Situation
-
von der Resilienz
-
von der Regulationsfähigkeit des Nervensystems, die man im Idealfall als kleines Kind von den Eltern erlernt hat
-
von der Möglichkeit, sich sicheren Bezugspersonen anzuvertrauen
Wenn «schlimme» Erlebnisse auch im Nachhinein nicht eingeordnet/verarbeitet werden können, spricht man von Trauma.
Dissoziation (Abspaltung):
Natürliche Reaktion auf Erfahrungen, die zu verarbeiten nicht möglich ist:

•eine unbewusste Strategie, die unerträgliche Gefühle/Erinnerungen von der bewussten Erfahrung (Schmerz) trennt
•ein vorübergehender «Schutzmechanismus», der chronisch werden kann
Auswirkungen von Dissoziation:
•Depersonalisation (Gefühl der Loslösung vom Körper)
•Derealisation (Gefühl der Unwirklichkeit)
•Dissoziative Identitätsstörungen (DIS): Auftreten verschiedener Identitätszustände, die abwechselnd die Kontrolle über das Denken, Fühlen und Handeln über- nehmen.
Wenn ein traumatisches Ereignis länger dauert oder mehrmals vorkommt:
•Dissoziation, schon während es geschieht. Man verlässt seinen Körper, um den Schmerz nicht fühlen zu müssen, dann ist es schwierig, sich später zu erinnern
•4. Totstellen (tiefes Aufgeben) tiefe Depression, Gefühl tiefen Mangels
oder:
-
5. «Fawn response»: (chronische Unterwerfung) Über-Anpassung: «Dem anderen zu Willen sein» bis der eigene Wille gar nicht mehr existiert. Der Wille des anderen wird als der eigene Willen empfunden (unauffällige Form von schwerem Trauma, schwierig zu diagnostizieren)
•«Hochsensibilität» oder «mediale Fähigkeiten»: Betroffene entwickeln oft eine hypersensible Wahrnehmung aus dem Wunsch heraus, weitere traumatisierende Ereignisse vorausahnen zu können.
-
Posttraumatische Belastungsstörung: Ich nenne sie lieber posttraumatische Belastungsreaktion, weil es eigentlich eine gesunde Reaktion auf ein «ungesundes» Ereignis ist.
Ein möglicher innerer Entwicklungsweg für traumatisierte Menschen:
Betäuben-
Überleben-
Fühlen-
Heilen.

Es ist wichtig, zu wissen: Traumaheilung ist ein zyklischer, individueller Prozess und verläuft nicht linear, sondern eher spiralförmig.
Menschen können sich in verschiedenen Momenten in unterschiedlichen Phasen wiederfinden. Manche kehren zurück zu früheren Zuständen, andere springen zwischen Fühlen und Überleben. Manche Themen kommen immer wieder. Man kann sie jedes Mal aus einer neuen Perspektive betrachten und bearbeiten.
-
BETÄUBEN:
-
Leben mit dem Trauma (oft ohne zu wissen, dass man eines hat)
-
Gefühle sind abgespalten oder unterdrückt («eine Mauer bauen»)
-
Strategien wie Ablenkung, Sucht, Kontrolle, Perfektionismus oder chronische Produktivität dominieren
-
Der Körper wird als Feind erlebt oder ignoriert
-
Das Leben wird allein mit dem Kopf gesteuert, Körpersignale werden kaum wahrgenommen
-
Ständige Gefahr, getriggert zu werden, entwickeln von Vermeidungs-Strategien
-
Innen: Leere, Taubheit, Überforderung
Traumatische Gefühlszustände wurden im Körper eingelagert, da es nicht möglich war, sie zu fühlen. Dort, wo die Energie traumatischer Erfahrungen feststeckt, entstehen Verhärtungen. Da die Lebensenergie nicht mehr frei zirkulieren kann, fühlt man diese Körperstellen nicht mehr gut (d.h. traumatisierte Menschen nehmen ihre Verspannungen oder Verhärtungen oft selbst nicht oder nur teilweise wahr). Mehrfach traumatisierte Menschen fühlen deshalb immer weniger von ihrem Körper und also auch von ihren Gefühlen. Wenn Gefühle hochkommen, sind es zumeist negative. Traumatisierte Personen neigen dazu, diese zu betäuben (z.B. durch Rauchen, Drogen, Alkohol, ständige Aktivität…), weil sie keine anderen Möglichkeiten kennen, mit unangenehmen Gefühlen umzugehen.
Trigger
Schon an sich harmlose Reize (z.B. ein Wort, ein Geruch, eine bestimmte Situation…) können unbewusst Erinnerungen an eine traumatische Situation hervorrufen. Da die «alten Gefühle» im Inneren immer noch vorhanden sind, lösen diese Trigger heftige emotionale Reaktionen aus. Den Betroffenen ist meist nicht klar, dass die Auslöser der heftigen Gefühle in der Vergangenheit liegen.
Mein Bild dazu: Der traumatisierte Körper ist wie ein übervoller Stausee. Ein einziger Tropfen (Trigger) kann ihn schon zum Überlaufen bringen oder im schlimmeren Fall kann ein etwas heftiger Regenguss (stärkerer Gefühlsausbruch) sogar bewirken, dass die Staumauer Risse bekommt. Man ist ständig damit beschäftigt, diese zu flicken, was viel Energie kostet und das Problem nicht eigentlich löst.

Auswirkungen des Lebens im Zustand der Betäubung:
•Starke innere Anspannungen bei gleichzeitiger körperlicher Erschöpfung
(Es braucht unbewusst ständigen Krafteinsatz, die traumatischen Gefühle zu unterdrücken)
•Hyperwachsamkeit (z.B. aufgerissene Augen, unruhiger Blick…)
•Angst- und Panikattacken, Depressionen
•Eigenes Verhalten, das man selbst nicht verstehen kann («wie ferngesteuert»)
•Chronischer Stress, daraus folgend oft ungesunde Versuche, den Stress zu reduzieren (Rauchen, Alkohol, Drogen, Kauf- oder Sexsucht…)
•Starke Scham- oder Schuldgefühle, daraus folgend oft Rückzug oder Aggression
•Konzentrationsschwierigkeiten
•Intrusive Gedanken, z.B. Gewaltfantasien
Ein Trauma führt aufgrund der «Folgeschäden» oft zu weiteren traumatischen Erfahrungen (Man nimmt Bedrohungen nicht wahr oder erstarrt bei Bedrohung, kann sich also nicht wehren, automatische Programme laufen ab…)
Das autonome Nervensystem:
Unser autonomes Nervensystem steuert Körperfunktionen, die nicht mit dem Willen beeinflusst werden können (z.B. Atmung, Herzfrequenz, Verdauung…)
Trauma oder sogar Mehrfachtraumata führen dazu, dass das «Fenster der Toleranz»(der Bereich, in dem man sich wohlfühlt), immer kleiner wird.
Wenn sich das Nervensystem aufgrund von traumatischen Erlebnissen nicht mehr natürlich regulieren kann, schlägt es ständig über den Wohlfühlbereich hinaus: Es schwankt stark zwischen starker Überregung und grosser Erschöpfung.
Kleinste Auslöser können schon «Trigger» sein, die bewirken, dass das «Toleranzfenster» überschritten wird.
Da es sich um autonome Prozesse handelt, können diese nicht mit dem Willen kontrolliert werden. Dieses ständige «Entgleisen» bewirkt bei den Betroffenen Gefühle von Hilflosigkeit.

Auswirkungen eines deregulierten Nervensystems in verschiedenen Lebensphasen:
-
Frühe Kindheit: Entwicklungsverzögerungen, Bindungsstörungen, Verhaltensprobleme
-
Adoleszenz: Risikoverhalten, Identitätsprobleme, Schwierigkeiten in Schule und sozialen Beziehungen
-
Erwachsenenalter: Beziehungsprobleme, berufliche Schwierigkeiten, Gesundheitsprobleme
Wie kann man Trauma verarbeiten?
Überleben- Fühlen- Heilen
2.ÜBERLEBEN
Erste Erkenntnisse über Trauma, erste Worte für das Erlebte finden
-
Symptomkontrolle beginnt: Medikamente*, Gespräche, Grenzen setzen
-
*Medikamente?
-
versprechen kurzfristig schnelle Besserung
halten die traumatischen Gefühle zwar unten, diese verschwinden damit aber nicht, sondern bleiben unterschwellig erhalten
verhindern nicht, dass weitere Traumata geschehen können
haben oft Nebenwirkungen
Gefahr der Abhängigkeit
-
Funktionieren steht im Vordergrund – oft auf Kosten echter Heilung
-
Innen: Kampf, Erschöpfung, Hoffnungsschimmer
Der nachhaltige Weg geht weiter: «Hineingehen und Fühlen»
3.FÜHLEN:
Das Feuer der Transformation
•Der Mensch beginnt, sich wieder mit seinem Körper und seinen Gefühlen zu verbinden
•Emotionen dürfen sich zeigen: Wut, Trauer, Schmerz
•Somatische Arbeit, Nervensystemregulation, Rückzug aus toxischen Feldern
•Innen: Bewegung, Ambivalenz, Leben erwacht
•Der Körper beginnt manchmal zu zittern und wird so die traumatische Energie los
•So werden auch angenehme Gefühle wieder möglich: z.B. Freude

Fühlen, wie geht das?
Idealerweise begleitet durch eine Fachperson kommt man vorsichtig in Kontakt mit den Körperstellen, in denen traumatisches Material eingelagert ist, und lernt, unverarbeitete Gefühle dosiert hervorkommen zu lassen und zu verarbeiten. Dazu braucht es ein mitfühlendes Gegenüber, von dem man lernen kann, sich selbst Mitgefühl zu geben.
Wichtig ist es, ein «duales Bewusstsein» zu erlernen: Ein Teil bleibt im Hier und Jetzt, ein Teil geht zurück in die Vergangenheit und die alten Gefühle. So kann Retraumatisierung verhindert werden.
Der Kontakt mit den traumatischen Ereignissen erfolgt idealerweise aus zwei Richtungen:
bottom-up (von unten nach oben: Gefühle aufsteigen lassen)
top-down (von oben nach unten: Verstehen, integrieren)
So entsteht eine Art doppelte Spirale: je weiter man im Körper nach unten kommt, desto höher gelangt man bei den Erkenntnissen und umgekehrt: Neue Erkenntnisse bewirken neuen Zugang in den Körper.

Was geschieht, wenn Trauma sich löst, weil man die traumatischen Gefühle gefühlt und verarbeitet hat:
4.HEILEN
-
Nicht nur Symptome verschwinden – sondern tiefe Integration beginnt
-
Sicherheit im Körper, echte Verbundenheit, Selbst-Mitgefühl
-
Das Nervensystem
reguliert sich nachhaltig
-
Innen: Frieden, Lebendigkeit, Präsenz

Anzeichen von Heilung:
•Gesunder Umgang mit Stress-Situationen wird wieder möglich
("duales Bewusstsein": einordnen können, sich selbst schon im Stressmoment liebevoll begleiten können)
•Der Körper wird wieder lebendig:
-
Kribbeln, Vibrieren kann auftreten
-
bessere Verdauung/Durchblutung
-
bessere Gesundheit
-
besserer Schlaf
-
mehr körperliche Energie (ausgeglichen statt in den Extremen)
-
«schöne Ausstrahlung»
Man kann lernen, zu fühlen: z.B. was tut mir gut, wieviel davon
Der Körper antwortet, indem er vibriert, wenn etwas stimmig ist
Gefühle von Zugehörigkeit und Verbundenheit kommen zurück
gesunde soziale Kontakte werden möglich
Gefahr von Sekundärtraumata verringert sich, weil ein ganz neues Bewusstsein entsteht (Man begibt sich nicht mehr «traumablind» in ähnliche Situationen wie die, die man früher für normal hielt, weil man nichts anderes kannte)
Trauma-Auflösung ist meist auch ein spiritueller Prozess:

Da die traumatischen Geschehnisse oft schon lange Zeit zurückliegen, helfen spirituelle Zugänge, sie «auf einer anderen Ebene zu verarbeiten». Oft eröffnen sich diese Zugänge im Verarbeitungsprozess von selbst. Daraus gewinnt man, sozusagen als «Nebenprodukt»:
-
Neue Einsichten über übergeordnete Zusammenhänge
-
Zugang zum «Grossen Ganzen»
-
«Erleuchtung»
Das Leben bekommt dadurch einen ganz neuen Sinn
So wird es wieder möglich, aktuelle Gefühle als das zu fühlen, was sie eigentlich sind: Gefühle des Moments, die kommen, gefühlt werden und auch wieder gehen dürfen. So können auch schwierige, «schlimme» Gefühle gefühlt werden. Sie stauen sich nicht mehr hinter der künstlich errichteten Staumauer, vermischen sich nicht mehr mit alten Gefühlen, die sich dort schon angesammelt haben, sondern sie fliessen durch mich hindurch und machen anderen, vielleicht auch angenehmen Gefühlen Platz.

Das Leben im von Trauma befreiten Zustand ist eine komplett neue Erfahrung für mich: Alles geht viel leichter, ist im Fluss und darf sich ständig wandeln.
Das neue Körpergefühl ist natürlich gerade beim Musizieren ein grosses Geschenk für mich. vielleicht kann man meine Fortschritte in diesen beiden Videos erkennen:
Dieses Video ist von 2023 Es zeigt deutlich, dass meine Armbewegungen aus der Schulter kommen und nicht mit dem ganzen Körper verbunden sind. Die Hüfte ist kaum beweglich.
Dieses Video ist von 2025 Hier ist sichtbar, das die Bewegungen meines Armes nun aus dem ganzen Körper kommen. meine Hüfte ist beweglicher geworden, ich nehme mehr Raum ein.
Nach langer Zeit des «Gefroren-Seins» ist es dank einer intensiven Traumatherapie in meinem Leben endlich doch noch «Frühling» geworden. Dieses «Frühlingserwachen» habe ich sehr intensiv erlebt und ich bin unendlich dankbar dafür.
Da ich etwas so Bahnbrechendes erlebt habe, folgte daraus der Wunsch, etwas davon an andere weitergeben zu dürfen. In meinem Buch "Bergfrühling" dokumentiere ich meinen ganz persönlichen Weg der Traumaheilung. Es ist also ein Erfahrungsbericht, kein Fachbuch. Es geht mir dabei um die Dokumentation des Prozesses und nicht darum, meine Geschichte öffentlich zu machen. Das Eine war aber ohne das andere nicht möglich.

Vielleicht kann meine Geschichte Menschen in einer ähnlichen Situation Mut machen:
Es lohnt sich, sich auf den Weg zu machen, auch wenn der Aufwand zuerst gross zu sein scheint!

